Rund viereinhalb Jahre hat es bis zu ersten höchstrichterlichen Entscheidung des Bundesgerichthofs im Abgasskandal gedauert. Am 25. Mai 2020 war es soweit: Der BGH hat entschieden, dass VW die Kunden durch die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung vorsätzlich sittenwidrig geschädigt hat (Az.: VI ZR 252/19). Damit ist klar: VW ist im Abgasskandal grundsätzlich zu Schadensersatz verpflichtet.
Vorsätzliche sittenwidrige Schädigung durch unzulässige Abschalteinrichtung
Der BGH stellte fest, dass die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung eine vorsätzlich sittenwidrige Schädigung darstellt. Dabei habe VW systematisch und über Jahre hinweg aus reinem Profitstreben die Arglosigkeit der Kunden planmäßig ausgenutzt. Die hohe Gesamtzahl der betroffenen Fahrzeuge zeige die besondere Verwerflichkeit des Verhaltens von VW. Dabei müsse sich Volkswagen auch das vorsätzliche Handeln seiner Mitarbeiter zurechnen lassen.
Der Schaden für den Kunden liege schon im Abschluss des Kaufvertrags über ein Fahrzeug, dass er bei Kenntnis des Abgasmanipulationen nicht gekauft hätte. Daher bestehe ein Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrags. Heißt: Gegen Rückgabe des Fahrzeugs muss VW den Kaufpreis erstatten. Für die gefahrenen Kilometer darf VW allerdings eine Nutzungsentschädigung anrechnen. Wichtig: Der Schadensersatzanspruch besteht auch bei Gebrauchtwagen, die vom Abgasskandal betroffen sind.
„Nach diesem Urteil können vom Abgasskandal geschädigte Autokäufer ihre Schadensersatzansprüche durchsetzen“, sagt Rechtsanwalt Frederick M. Gisevius. Das gilt sowohl für die Verbraucher, die sich an der Musterfeststellungsklage gegen VW beteiligt und das Vergleichsangebot ausgeschlagen haben als auch für Verbraucher, die zwar vom Dieselskandal betroffen sind, aber bisher noch nichts gegen VW unternommen haben. Hier ist natürlich die Frage der Verjährung zu beachten, die der BGH noch nicht abschließend entschieden hat. „Auch hier bestehen gute Aussichten, dass die Schadensersatzansprüche noch nicht verjährt sind“, so Rechtsanwalt Gisevius.
Verjährungsfristen im Abgasskandal
Im Abgasskandal wird häufig von einer dreijährigen kenntnisabhängigen Verjährungsfrist ausgegangen, nach der Schadensersatzansprüche spätestens Ende 2019 hätten geltend gemacht werden müssen. Es gibt aber auch andere Ansätze, nach der die Verjährung noch nicht eingetreten ist.
Rechtsanwalt Gisevius: „Es gibt die berechtigte Ausfassung, dass die Verjährungsfrist überhaupt erst durch das BGH-Urteil vom 25. Mai 2020 in Lauf gesetzt wurde, da die Rechtslage vorher zu unsicher war und erst durch ein höchstrichterliches Urteil Klarheit eingetreten ist.“ So haben z.B. die Landgerichte Trier (Az.: 5 O 417/18) und Duisburg entschieden (Az.: 4 O 165/19).
Ein anderer Ansatz geht von einer zehnjährigen Verjährungsfrist und einem Anspruch der Käufer nach § 852 BGB aus. Demnach ist derjenige, der durch unerlaubte Handlungen auf Kosten eines anderen etwas erlangt, auch nach Eintritt der Verjährung zu Schadensersatz verpflichtet. Dieser Schadensersatzanspruch verjährt in zehn Jahren von seiner Entstehung an. Das Amtsgericht Marburg hat mit Beschluss vom 16. Juni 2020 entschieden, dass die Schadensersatzansprüche im Abgasskandal erst nach zehn Jahren verjähren (Az.: 9 C 891/19).
Daimler im Abgasskandal
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Das Urteil des BGH bezieht sich auf Fahrzeuge des VW-Konzerns mit dem Dieselmotor EA 189. Es ist aber auch wegweisend für Fahrzeuge mit den größeren 3-Liter-Dieselmotoren oder dem Nachfolgemotor EA 288. Es gibt auch die Richtung bei Schadensersatzklagen gegen andere Fahrzeughersteller wie Daimler im Abgasskandal vor.
Der Druck auf Daimler ist im Dieselskandal enorm gestiegen. Dafür hat u.a. der BGH mit Beschluss vom 28. Januar 2020 gesorgt (Az.: VIII ZR 57/19). Er stellte klar, dass Kläger im Abgasskandal keine detaillierten Kenntnisse über eine Abschalteinrichtung haben müssen. Es reiche aus, wenn sie hinreichend schlüssige Anhaltspunkte über die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung vortragen.
Seit diesem Beschluss nehmen Gerichte Daimler verstärkt in die Pflicht. So hat u.a. der 16a. Zivilsenat des OLG Stuttgart gleich in drei Verfahren klar gemacht, dass Daimler sich im Rahmen der sekundären Darlegungslast zur Funktionsweise von verwendeten Abschalteinrichtungen wie Thermofenster oder Kühlmittel-Sollwert-Temperaturregelung äußern und erklären muss, warum diese Funktionen notwendig und ausnahmsweise zulässig sein sollen. Dazu müsse der Autobauer auch mitteilen, welche Angaben zu den Funktionen im Typengenehmigungsverfahren gemacht wurden. Weitgehend geschwärzte Dokumente reichten nicht aus, stellte der Senat klar.
EuGH-Generalanwältin erhöht den Druck
Auch die EuGH-Generalanwältin Eleanora Sharpston hat den Druck auf die Autohersteller im Abgasskandal erhöht. In ihrem Schlussantrag vom 30. April 2020 erklärte sie, dass sie Abschalteinrichtungen grundsätzlich für unzulässig hält, wenn sie zu einem höheren Schadstoffausstoß im realen Straßenverkehr führen. Ausnahmen seien nur in engen Grenzen zum unmittelbaren Schutz des Motors zulässig. Funktionen, die den Motor vor Verschleiß oder Versottung schützen sollen, gehören nicht dazu.
„Demnach wären Thermofenster bei der Abgasreinigung wie sie Daimler und andere Hersteller reihenweise verwenden keine zulässigen Abschalteinrichtungen. Für die Autobauer dürfte es schwer werden, die Gerichte vom Gegenteil zu überzeugen“, so Rechtsanwalt Gisevius.